Im Vorfeld der ILA sprach die FLUG REVUE mit Dr. Klaus Richter. Der Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie skizziert die aktuelle Lage und die Herausforderungen der Branche.

«Heute steckt in jedem weltweit ausgelieferten Passagierflugzeug Technologie «Made in Germany».» Foto und Copyright: Klaus Richter — BDLI  

 

Herr Dr. Richter, seit einem Jahr sind Sie Präsident des BDLI. Was war für Sie als langjährigen Branchenprofi die größte Überraschung im neuen Amt? 

Überrascht hat mich, wie stark die Luft- und Raumfahrt im ganzen Land verwurzelt ist, von den Großstädten bis zu kleinen Ortschaften, in denen viele mittelständische Zulieferer beheimatet sind. Deutschland ist wahrlich eine Luft- und Raumfahrtrepublik. 

 

Airbus ist neben Boeing zu einem der größten Flugzeughersteller der Welt heran- gewachsen. Wie profitiert die deutsche Industrie davon? 

Die Luft- und Raumfahrt ist eine der Industrien, in denen Europa und Deutschland weltweit führend sind, und Airbus ist die Herzkammer. Und: Viele Technologien und Prozesse, die bei uns entwickelt werden, halten später Einzug in andere Branchen wie Auto oder Energie. 

 

Neben den Branchengiganten wie Airbus besteht der BDLI vor allem aus hochklassigen Mittelständlern. Finden diese in Deutschland genug Gehör bei politischen Beschaffungsentscheidungen und genug Hilfe bei der Ansiedlung? Welche Themen brennen diesen Luftfahrt-Mittelständlern aktuell unter den Nägeln? 

In den vergangenen Jahren lief vieles richtig. Die neue Bundesregierung muss diesen Kurs nun weiterfahren. Dabei geht es vor allem um Forschung und Innovationen, um auf dem stark umkämpften Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Luftfahrtforschungsprogramm ist ein großer Erfolg und sollte ausgebaut werden. 

 

Das ILA-Partnerland und unser größter Luftfahrtpartner ist Frankreich. Was kann die deutsche Luftfahrtindustrie von Frankreich lernen? 

Unsere Industrie hat in Frankreich den Stellenwert, den hierzulande die Autoindustrie hat. Luft- und Raumfahrt betrifft uns alle, ihre Leistungen sind für unsere moderne Gesellschaft existenziell wichtig, ermöglichen sie doch erst unser modernes Leben. Wir müssen der Politik und der Öffentlichkeit noch klarer machen, wie wichtig wir für die Zukunft des Landes sind. 

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Die Informationstechnologie eröffnet viele neue Anwendungen auch für die Luftfahrt. Wie verknüpft sich die Luftfahrtbranche künftig mit kleinen Start-ups und Mini-Spezialisten, die nicht immer mit Luftfahrtbezug auf die Welt kommen? 

Wir sind schon mittendrin. Airbus holt beispielsweise Start-ups ins Haus, arbeitet aber auch selbst an revolutionären Konzepten. Vor allem das Thema Industrie 4.0 ist für die Luftfahrt hochinteressant – gerade für unsere komplexen Produkte haben digitale Lösungen, die den gesamten Lebenszyklus von der Entwicklung bis zum Betrieb abdecken, enormes Potenzial. Das Zentrum für angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg ist zum Beispiel eine ideale Plattform für gemeinsame Forschung von Partnern aus Industrie und Wissenschaft. Für Deutschland ist es von größter Bedeutung, bei der Digitalisierung Treiber und nicht Beobachter zu sein. 

 

Die Luftfahrtbranche forscht so intensiv wie kein anderer Industriezweig. Welche technologischen Durchbrüche können wir erwarten, und welche sind auch für andere Branchen interessant? 

Wir arbeiten am nahezu emissionsfreien Fliegen. Bei kleineren Flugzeugen funktionieren elektrische Antriebe schon, und bis 2030 werden Hybride mit bis zu 100 Sitzen abheben. Der zweite große Durchbruch ist das autonome Fliegen, sei es durch unbemannte Drohnen oder sogenannte fliegende Taxis. 

 

Sie sind selber Beschaffungsexperte. Haben heute naturgemäß teurere Qualitätszulieferer aus Deutschland noch eine Chance gegen Billigkonkurrenten im globalen Wettbewerb? Wie kann man in diesem Kampf überleben? Durch Preiswettbewerb? 

Klar, der Preis muss stimmen. Unsere Stärken sind aber vor allem Erfindergeist, Qualität, technologischer Vorsprung und Zuverlässigkeit. Heute steckt in jedem weltweit ausgelieferten Passagierflugzeug Technologie „Made in Germany“. Dies allein zeigt, wie erfolgreich unsere Zulieferer auf dem Weltmarkt sind – und dies aus dem Hochlohnland Deutschland heraus. 

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Die Bundesregierung will den Einstieg auswärtiger Anteilseigner bei deutschen Schlüsselunternehmen, wie etwa bei Kuka, regulieren. Wie steht der BDLI zu diesen möglichen Beschränkungen? 

Deutschland lebt vom Handel mit der Welt. Maßnahmen, die Investitionen und Freihandel einschränken, sollten daher mit Bedacht gewählt werden. Gleichzeitig müssen für alle Handelspartner die gleichen Regeln gelten. Aber Luft-und-Raumfahrt-Know-how kann in spezifischen Fällen von strategischer Bedeutung sein. Deshalb begrüßen wir die neuen Gesetze, die staatliche Intervention und Know-how-Schutz erlauben. 

 

Mit Asien wächst ein riesiger Luftfahrtmarkt heran, von dem auch Deutschland stark profitiert. Wo ziehen Sie die Grenzen der Zusammenarbeit, und wo sollte man noch viel enger kooperieren? 

Wir bauen die Partnerschaften mit Asien auf allen Ebenen aus, ob Forschung, Zulieferer oder Wartung. Doch wir sind auch Konkurrenten, etwa wenn Indien in die Raumfahrt investiert oder China ein Mittelstreckenflugzeug baut. Kurz: Wir kooperieren, sind aber nicht blauäugig. 

 

Mit dem „Brexit“ will Großbritannien die EU verlassen. Welche Folgen sehen Sie für die grenzüberschreitend vernetzte Luftfahrtindustrie und die BDLI-Mitglieder, etwa Rolls-Royce Deutschland? 

Was „Brexit“ überhaupt bedeutet, ist ja bislang noch gar nicht geklärt. Das macht es unmöglich, konkrete Folgen vorherzusagen. Sicher ist nur, dass der Status quo für alle Beteiligten funktioniert. Je länger die Unsicherheit anhält, und umso mehr verändert werden muss, desto schlechter für alle. 

 

Wir stehen direkt vor der ILA 2018, die der BDLI mitveranstaltet. Wo liegen die Stärken der ILA, wie hat sich die Rolle der ILA verändert, und welche Zukunft sehen Sie langfristig für die Messe? 

Wir haben die traditionsreichste Airshow der Welt ganz bewusst zur führenden Innovationsmesse weiterentwickelt – denn Luft- und Raumfahrt steht für Innovation wie keine andere Branche, und die ILA ist folgerichtig Synonym und zugleich Akronym für „Innovation and Leadership in Aerospace“ geworden. Mit der ILA verfügt Deutschland heute über die Innovationsmesse schlechthin, die ein weltweites Ausrufezeichen für Hochtechnologie „Made in Germany“ setzt und Anziehungspunkt für Aussteller und Besucher aus der ganzen Welt ist. Diesem Anspruch werden wir auch in Zukunft gerecht werden, sodass die ILA ihren Erfolgskurs fortsetzen kann. 

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In Deutschland beginnt die zahlenmäßig stärkste Generation der „Baby Boomer“ das Rentenalter zu erreichen. Findet die Luftfahrtbranche noch genügend Nachwuchs? Womit kann die Luftfahrtbranche heute und morgengewinnend überzeugen? 

Unsere Industrie fasziniert, das hilft uns. Wir müssen jungen Frauen und Männern aber auch immer wieder verdeutlichen, dass sich eine Karriere bei uns lohnt. Luft- und Raumfahrt wird das 21. Jahrhundert prägen, es ist also die perfekte Zeit, in die Branche einzusteigen. 

 

Industrie 4.0, ein ILA-Thema, ist in Deutschland der Begriff für die vernetzte Industrie mit Robotern und automatischer Fertigung. Welche sicheren Jobs bietet die Luftfahrtbranche auch in Zukunft, und welches ideale Mitarbeiterprofil suchen Sie? 

Wir beschäftigen Jahr für Jahr mehr Menschen, und unsere Auftragsbücher sind prall gefüllt. Die Voraussetzungen sind also hervorragend. Aber keine Frage, die Arbeitswelt verändert sich stark. Auch in der Fabrik der Zukunft werden viele Menschen benötigt. Arbeitgeber und Beschäftigte dürfen diesen Wandel nicht ignorieren, sondern sie müssen gemeinsam sicherstellen, dass die Fabriken der Zukunft in Deutschland entstehen. 

Die Fragen stellte Sebastian Steinke 

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Flughafen von Deutschland